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Glaeser, Ernst: Brief 1928 Glaeser, Ernst, Schriftsteller, Mitarbeiter der "Frankfurter Zeitung" (
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Berlin-Grunewald
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Glaeser, Ernst: Brief 1928
Glaeser, Ernst, Schriftsteller, Mitarbeiter der "Frankfurter Zeitung" (1902-1963). Eigh. Brief m. U. "Ernst Glaeser". 4 S. Gr. 4to. Frankfurt a. M. 22.I.1928.
An den Verleger Walther Gericke. Umfangreicher und bedeutender Brief über sein kurz vor dem Erscheinen befindliches Hauptwerk, den Roman "Jahrgang 1902" sowie einen geplanten Roman "Ein Deutscher weiss nicht wohin", der mit dem Kapitel "Der Pächter" beginnen soll. Beide Romane werden von Glaeser in vorliegendem Brief eingehend charakterisiert. "... vor wenigen Tagen schrieb mir Herr [Otto] Doderer, meine in den letzten Wochen veröffentlichten Romankapitel - gemeint sind wohl jene in der 'Frankfurter Zeitung' - hätten Ihnen nicht in dem Maasse gefallen wie 'Der Pächter'. Er sprach von einer bestimmten Richtung, in die ich mich verrannt hätte - anscheinend ist damit auf den politischen Tenor der Arbeiten gezielt. Ob diese Verknüpfung politischer Tatbestände mit einer künstlerischen Anschauung und Formung des Lebens richtig ist, ob ein Schriftsteller, besonders wenn er so jung ist wie ich, nicht eine bestimmte Tendenz in seinen Arbeiten verfolgen darf, darüber lässt sich streiten ... der 'Jahrgang 1902' hat mit jenem Roman, zu dem der 'Pächter' den Anfang und Grundstein bildet, nicht das Geringste zu tun ... 'Jahrgang 1902' nennt sich einen Bericht, also eine Summe von beobachteten und erlebten Tatbeständen. Er ist durch keine laufende Handlung, durch keine Fabel, verbunden, das einzige was die Kapitel zusammenhält, ist der Krieg. Vor seiner übermächtigen Kulisse stehen die Situationen, nur durch ihn denkbar, für ihn bezeichnend. Also ein 'Roman' ohne Helden ... Dass dies politisch werden musste, ist klar.
Dagegen der andere Roman, für den Sie sich ... interessieren. Der hat als bestimmte Fabel die Geschichte des Pächters, der von Zivilisation isoliert auf dem starken Grund seiner Insel lebt und jene reife, wortlose Anschauung des Lebens erreicht, die sich durch keine Tagesfragen und Händel in ihrer diesseitigen Liebe zum Sein beirren lässt ... Er ist a-religiös, ganz der Erde gehörig, ein Mann, der nicht nach dem Woher oder Warum der Dinge fragt, sondern nur nach ihrem Wie. Er hat die Bescheidung vor der Form, er sieht in ihr das einzig erreichbare Glück ... Ihm gegenüber Karras, in allem das Gegenteil. Der Träger der Handlung. Der Sucher, der Revolutionär wider die Form, deren Selbstgenügsamkeit er hasst, der Frager nach dem Sinn. Der Roman beginnt mit jenem Kapitel bei dem Pächter, aus seiner Ruhe reisst mich die Ankunft Karras, wir reisen ab, schmerzlich belächelt von dem Pächter - dann beginnt die eigentliche Handlung ... Sobald ich den Bericht 'Jahrgang 1902' fertig habe, das wird, wie ich hoffe, Anfang März sein, werde ich an den Roman gehen, der vollständig fertig in meinem Kopfe liegt, und ihn, das kann ich Sie versichern, bis Ende Mai vollenden. Er heisst 'Ein Deutscher weiss nicht wohin' - Karras ist dieser Deutsche. Ich bin bereit, Ihnen diesen Roman zur Verfügung zu stellen ... Das setzt voraus, dass Sie mich einer guten Arbeit fähig halten - an sich wäre der Zustand ideal, wenn ein Schriftsteller mit einem Verleger ausmacht: ich schreibe für Sie diesen Roman. Nur so sollte man nämlich arbeiten ... Über meine finanziellen Nöte wissen Sie ja Bescheid ...". - Der Roman ist in dieser Form und unter diesem Titel nicht erschienen; in Glaesers Roman "Frieden" von 1930 kommt jedoch ein "Karras" als Nebenfigur vor.
Glaeser, Ernst, Schriftsteller, Mitarbeiter der "Frankfurter Zeitung" (1902-1963). Eigh. Brief m. U. "Ernst Glaeser". 4 S. Gr. 4to. Frankfurt a. M. 22.I.1928.
An den Verleger Walther Gericke. Umfangreicher und bedeutender Brief über sein kurz vor dem Erscheinen befindliches Hauptwerk, den Roman "Jahrgang 1902" sowie einen geplanten Roman "Ein Deutscher weiss nicht wohin", der mit dem Kapitel "Der Pächter" beginnen soll. Beide Romane werden von Glaeser in vorliegendem Brief eingehend charakterisiert. "... vor wenigen Tagen schrieb mir Herr [Otto] Doderer, meine in den letzten Wochen veröffentlichten Romankapitel - gemeint sind wohl jene in der 'Frankfurter Zeitung' - hätten Ihnen nicht in dem Maasse gefallen wie 'Der Pächter'. Er sprach von einer bestimmten Richtung, in die ich mich verrannt hätte - anscheinend ist damit auf den politischen Tenor der Arbeiten gezielt. Ob diese Verknüpfung politischer Tatbestände mit einer künstlerischen Anschauung und Formung des Lebens richtig ist, ob ein Schriftsteller, besonders wenn er so jung ist wie ich, nicht eine bestimmte Tendenz in seinen Arbeiten verfolgen darf, darüber lässt sich streiten ... der 'Jahrgang 1902' hat mit jenem Roman, zu dem der 'Pächter' den Anfang und Grundstein bildet, nicht das Geringste zu tun ... 'Jahrgang 1902' nennt sich einen Bericht, also eine Summe von beobachteten und erlebten Tatbeständen. Er ist durch keine laufende Handlung, durch keine Fabel, verbunden, das einzige was die Kapitel zusammenhält, ist der Krieg. Vor seiner übermächtigen Kulisse stehen die Situationen, nur durch ihn denkbar, für ihn bezeichnend. Also ein 'Roman' ohne Helden ... Dass dies politisch werden musste, ist klar.
Dagegen der andere Roman, für den Sie sich ... interessieren. Der hat als bestimmte Fabel die Geschichte des Pächters, der von Zivilisation isoliert auf dem starken Grund seiner Insel lebt und jene reife, wortlose Anschauung des Lebens erreicht, die sich durch keine Tagesfragen und Händel in ihrer diesseitigen Liebe zum Sein beirren lässt ... Er ist a-religiös, ganz der Erde gehörig, ein Mann, der nicht nach dem Woher oder Warum der Dinge fragt, sondern nur nach ihrem Wie. Er hat die Bescheidung vor der Form, er sieht in ihr das einzig erreichbare Glück ... Ihm gegenüber Karras, in allem das Gegenteil. Der Träger der Handlung. Der Sucher, der Revolutionär wider die Form, deren Selbstgenügsamkeit er hasst, der Frager nach dem Sinn. Der Roman beginnt mit jenem Kapitel bei dem Pächter, aus seiner Ruhe reisst mich die Ankunft Karras, wir reisen ab, schmerzlich belächelt von dem Pächter - dann beginnt die eigentliche Handlung ... Sobald ich den Bericht 'Jahrgang 1902' fertig habe, das wird, wie ich hoffe, Anfang März sein, werde ich an den Roman gehen, der vollständig fertig in meinem Kopfe liegt, und ihn, das kann ich Sie versichern, bis Ende Mai vollenden. Er heisst 'Ein Deutscher weiss nicht wohin' - Karras ist dieser Deutsche. Ich bin bereit, Ihnen diesen Roman zur Verfügung zu stellen ... Das setzt voraus, dass Sie mich einer guten Arbeit fähig halten - an sich wäre der Zustand ideal, wenn ein Schriftsteller mit einem Verleger ausmacht: ich schreibe für Sie diesen Roman. Nur so sollte man nämlich arbeiten ... Über meine finanziellen Nöte wissen Sie ja Bescheid ...". - Der Roman ist in dieser Form und unter diesem Titel nicht erschienen; in Glaesers Roman "Frieden" von 1930 kommt jedoch ein "Karras" als Nebenfigur vor.
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Glaeser, Ernst: Brief 1928
Glaeser, Ernst, Schriftsteller, Mitarbeiter der "Frankfurter Zeitung" (1902-1963). Eigh. Brief m. U. "Ernst Glaeser". 4 S. Gr. 4to. Frankfurt a. M. 22.I.1928.
An den Verleger Walther Gericke. Umfangreicher und bedeutender Brief über sein kurz vor dem Erscheinen befindliches Hauptwerk, den Roman "Jahrgang 1902" sowie einen geplanten Roman "Ein Deutscher weiss nicht wohin", der mit dem Kapitel "Der Pächter" beginnen soll. Beide Romane werden von Glaeser in vorliegendem Brief eingehend charakterisiert. "... vor wenigen Tagen schrieb mir Herr [Otto] Doderer, meine in den letzten Wochen veröffentlichten Romankapitel - gemeint sind wohl jene in der 'Frankfurter Zeitung' - hätten Ihnen nicht in dem Maasse gefallen wie 'Der Pächter'. Er sprach von einer bestimmten Richtung, in die ich mich verrannt hätte - anscheinend ist damit auf den politischen Tenor der Arbeiten gezielt. Ob diese Verknüpfung politischer Tatbestände mit einer künstlerischen Anschauung und Formung des Lebens richtig ist, ob ein Schriftsteller, besonders wenn er so jung ist wie ich, nicht eine bestimmte Tendenz in seinen Arbeiten verfolgen darf, darüber lässt sich streiten ... der 'Jahrgang 1902' hat mit jenem Roman, zu dem der 'Pächter' den Anfang und Grundstein bildet, nicht das Geringste zu tun ... 'Jahrgang 1902' nennt sich einen Bericht, also eine Summe von beobachteten und erlebten Tatbeständen. Er ist durch keine laufende Handlung, durch keine Fabel, verbunden, das einzige was die Kapitel zusammenhält, ist der Krieg. Vor seiner übermächtigen Kulisse stehen die Situationen, nur durch ihn denkbar, für ihn bezeichnend. Also ein 'Roman' ohne Helden ... Dass dies politisch werden musste, ist klar.
Dagegen der andere Roman, für den Sie sich ... interessieren. Der hat als bestimmte Fabel die Geschichte des Pächters, der von Zivilisation isoliert auf dem starken Grund seiner Insel lebt und jene reife, wortlose Anschauung des Lebens erreicht, die sich durch keine Tagesfragen und Händel in ihrer diesseitigen Liebe zum Sein beirren lässt ... Er ist a-religiös, ganz der Erde gehörig, ein Mann, der nicht nach dem Woher oder Warum der Dinge fragt, sondern nur nach ihrem Wie. Er hat die Bescheidung vor der Form, er sieht in ihr das einzig erreichbare Glück ... Ihm gegenüber Karras, in allem das Gegenteil. Der Träger der Handlung. Der Sucher, der Revolutionär wider die Form, deren Selbstgenügsamkeit er hasst, der Frager nach dem Sinn. Der Roman beginnt mit jenem Kapitel bei dem Pächter, aus seiner Ruhe reisst mich die Ankunft Karras, wir reisen ab, schmerzlich belächelt von dem Pächter - dann beginnt die eigentliche Handlung ... Sobald ich den Bericht 'Jahrgang 1902' fertig habe, das wird, wie ich hoffe, Anfang März sein, werde ich an den Roman gehen, der vollständig fertig in meinem Kopfe liegt, und ihn, das kann ich Sie versichern, bis Ende Mai vollenden. Er heisst 'Ein Deutscher weiss nicht wohin' - Karras ist dieser Deutsche. Ich bin bereit, Ihnen diesen Roman zur Verfügung zu stellen ... Das setzt voraus, dass Sie mich einer guten Arbeit fähig halten - an sich wäre der Zustand ideal, wenn ein Schriftsteller mit einem Verleger ausmacht: ich schreibe für Sie diesen Roman. Nur so sollte man nämlich arbeiten ... Über meine finanziellen Nöte wissen Sie ja Bescheid ...". - Der Roman ist in dieser Form und unter diesem Titel nicht erschienen; in Glaesers Roman "Frieden" von 1930 kommt jedoch ein "Karras" als Nebenfigur vor.
Glaeser, Ernst, Schriftsteller, Mitarbeiter der "Frankfurter Zeitung" (1902-1963). Eigh. Brief m. U. "Ernst Glaeser". 4 S. Gr. 4to. Frankfurt a. M. 22.I.1928.
An den Verleger Walther Gericke. Umfangreicher und bedeutender Brief über sein kurz vor dem Erscheinen befindliches Hauptwerk, den Roman "Jahrgang 1902" sowie einen geplanten Roman "Ein Deutscher weiss nicht wohin", der mit dem Kapitel "Der Pächter" beginnen soll. Beide Romane werden von Glaeser in vorliegendem Brief eingehend charakterisiert. "... vor wenigen Tagen schrieb mir Herr [Otto] Doderer, meine in den letzten Wochen veröffentlichten Romankapitel - gemeint sind wohl jene in der 'Frankfurter Zeitung' - hätten Ihnen nicht in dem Maasse gefallen wie 'Der Pächter'. Er sprach von einer bestimmten Richtung, in die ich mich verrannt hätte - anscheinend ist damit auf den politischen Tenor der Arbeiten gezielt. Ob diese Verknüpfung politischer Tatbestände mit einer künstlerischen Anschauung und Formung des Lebens richtig ist, ob ein Schriftsteller, besonders wenn er so jung ist wie ich, nicht eine bestimmte Tendenz in seinen Arbeiten verfolgen darf, darüber lässt sich streiten ... der 'Jahrgang 1902' hat mit jenem Roman, zu dem der 'Pächter' den Anfang und Grundstein bildet, nicht das Geringste zu tun ... 'Jahrgang 1902' nennt sich einen Bericht, also eine Summe von beobachteten und erlebten Tatbeständen. Er ist durch keine laufende Handlung, durch keine Fabel, verbunden, das einzige was die Kapitel zusammenhält, ist der Krieg. Vor seiner übermächtigen Kulisse stehen die Situationen, nur durch ihn denkbar, für ihn bezeichnend. Also ein 'Roman' ohne Helden ... Dass dies politisch werden musste, ist klar.
Dagegen der andere Roman, für den Sie sich ... interessieren. Der hat als bestimmte Fabel die Geschichte des Pächters, der von Zivilisation isoliert auf dem starken Grund seiner Insel lebt und jene reife, wortlose Anschauung des Lebens erreicht, die sich durch keine Tagesfragen und Händel in ihrer diesseitigen Liebe zum Sein beirren lässt ... Er ist a-religiös, ganz der Erde gehörig, ein Mann, der nicht nach dem Woher oder Warum der Dinge fragt, sondern nur nach ihrem Wie. Er hat die Bescheidung vor der Form, er sieht in ihr das einzig erreichbare Glück ... Ihm gegenüber Karras, in allem das Gegenteil. Der Träger der Handlung. Der Sucher, der Revolutionär wider die Form, deren Selbstgenügsamkeit er hasst, der Frager nach dem Sinn. Der Roman beginnt mit jenem Kapitel bei dem Pächter, aus seiner Ruhe reisst mich die Ankunft Karras, wir reisen ab, schmerzlich belächelt von dem Pächter - dann beginnt die eigentliche Handlung ... Sobald ich den Bericht 'Jahrgang 1902' fertig habe, das wird, wie ich hoffe, Anfang März sein, werde ich an den Roman gehen, der vollständig fertig in meinem Kopfe liegt, und ihn, das kann ich Sie versichern, bis Ende Mai vollenden. Er heisst 'Ein Deutscher weiss nicht wohin' - Karras ist dieser Deutsche. Ich bin bereit, Ihnen diesen Roman zur Verfügung zu stellen ... Das setzt voraus, dass Sie mich einer guten Arbeit fähig halten - an sich wäre der Zustand ideal, wenn ein Schriftsteller mit einem Verleger ausmacht: ich schreibe für Sie diesen Roman. Nur so sollte man nämlich arbeiten ... Über meine finanziellen Nöte wissen Sie ja Bescheid ...". - Der Roman ist in dieser Form und unter diesem Titel nicht erschienen; in Glaesers Roman "Frieden" von 1930 kommt jedoch ein "Karras" als Nebenfigur vor.
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